Wenn es noch eines Beweises bedurfte, daß der französische Präsident in Europa den Takt vorgibt, so ist er heute erbracht worden. Der Bundestag hat heute, aus Anlaß des 55. Jubiläums des Elysee-Vertrags, gemeinsam mit der Französischen Nationalversammlung eine Resolution verabschiedet und damit den Willen des französischen Präsidenten exekutiert, der in seiner Rede vom 26. September 2017 weitgehende europapolitische Forderungen formuliert hatte, die auf die endgültige Abschaffung der Nationalstaaten hinauslaufen. Was von jeder normalen Nation als Übergriffigkeit des Nachbarn gewertet worden wäre, gilt in Deutschland als Befehl, der möglichst unmittelbar auszuführen ist. Das ist bei Forderungen, die aus Frankreich kommen, schon lange der Fall, hat sich aber seit dem Amtsantritt von Marcon dramatisch verstärkt. Dieser genießt in unserem politischen Establishment einen Ruf als dynamischer Macher, was nur mit Autosuggestion zu erklären ist.
Warum Macron kein Populist sein soll, wird das Geheimnis linker Politikwissenschaftler bleiben. Vielleicht will man mit dem politischen Leitstern Macron verhindern, daß sich die Leute am österreichischen Kanzler Kurz orientieren? Vermutlich hat es aber auch damit zu tun, daß er sich zur EU bekennt und das per Definition kein populistisches Projekt sein kann. Die Wirklichkeit sieht anders aus, wenn Macron fordert, die Volkseinkommen anzugleichen, die Sozialleistungen auf ein Niveau zu heben und schließlich einen gemeinsamen Haushalt unter einem „gemeinsamen“ Minister einzuführen. Da Frankreich am EU-Tropf hängt, den Deutschland Jahr für Jahr auffüllt, dürfte klar sein, wer die Kosten für das „gemeinsame“ Projekt zu tragen hat.
Die gemeinsame Resolution hat sich diesem Tenor angepaßt. Die Verabschiedung durch den Deutschen Bundestag, gegen die Stimmen der AfD und großteils auch der Linkspartei, bedeutet einen weiteren Schritt in der Selbstabschaffung Deutschlands. Zwar geht die Resolution nicht so weit wie die Forderungen des französischen Präsidenten und bleibt größtenteils im Ungefähren, wenn die Einsetzung verschiedenster Kommissionen gefordert wird. Das Ziel aber ist identisch: die Abschaffung der Nationalstaaten, die Einebnung aller Unterschiede und die Totalisierung der europäischen Bürokratie. Die wirklich relevanten Themen, wie die Frage der Grenzsicherung und der Verteilung von Flüchtlingen in Europa, werden mit Floskeln abgespeist. Stattdessen geht es um gemeinsame Kindergärten in den Grenzregionen und die Einhaltung der Klimaziele!
Das Problem liegt aber tiefer. „Die deutsch-französische Freundschaft ist ein wertvolles Geschenk, das uns die Geschichte vermacht hat. Sie hat nicht nur zu einem dauerhaften Frieden beigetragen, sondern uns auch zu Partnern in Europa gemacht“, heißt es einleitend. Daß wir mit Frankreich in Frieden leben, wird jeder Deutsche begrüßen. Entscheidend ist jedoch die Frage, worauf dieser Frieden beruht. Die französische Intention in der Annäherung nach dem Zweiten Weltkrieg hatte vor allem machtpolitische Gründe. Frankreich hoffte mit den Deutschen in der Hinterhand, den Einfluß der Briten und Amerikaner in Europa eindämmen zu können. Daß auf der deutschen Seite ein Konrad Adenauer Bundeskanzler war, der 1950 sogar „eine vollständige Union zwischen Deutschland und Frankreich mit einem einzigen Parlament“ angeboten hatte, machte die Sache einfach.
Unter diesem Mißverhältnis von Sieger und Besiegtem leidet das deutsch-französische Verhältnis bis heute. Das ist allerdings nur dann der Fall, wenn man das Ganze aus deutscher Perspektive betrachtet und nicht aus europäischer oder französischer, was meistens dasselbe ist. Die Resolution versucht nicht einmal, das zu verbrämen. Anstatt großer Worte und Symbolpolitik wäre es aber an der Zeit sich auf die eigentliche Grundlage einer Völkerfreundschaft zu besinnen. Das ist die gegenseitige Achtung, die es nur geben kann, wenn sich niemand von vornerein vor dem anderen in den Staub wirft oder sich von ihm die Agenda diktieren läßt. Manchmal ist es dazu ganz nützlich, sich einfach mal eine Weile in Ruhe zu lassen, weil sich gutnachbarliche Beziehungen eher durch das „gelassene, von detaillierten Kenntnissen zumeist wenig getrübte Nebeneinander“ (Peter Sloterdijk) als durch das exzessive Beschäftigen miteinander gewährleisten lassen.