Nachbetrachtungen zum Volkstrauertag

Wie in jedem Jahr lud der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge anläßlich des Volkstrauertags zur zentralen Gedenkveranstaltung in den Deutschen Bundestag ein. In diesem Jahr stand die Veranstaltung unter dem Motto „Darum Europa!“. Was zunächst nach einem harmlosen Motto klingt, entpuppte sich bei näherem Hinsehen als eine Verschiebung des Gedenkens, weg von den Toten der beiden Weltkriege – besonders des paneuropäischen Initialkrieges Nr.1., dem von 1914/18, für den der Gedenktag im Rest-Reich von Weimar schließlich geschaffen wurde. Und nichts wie hin zu zeitgeistpolitischen Forderungen der Gegenwart.

Die Schlußfolgerung „Darum Europa!“ impliziert nicht nur ein positives Bekenntnis zu Europa, gegen das man unter bestimmten Voraussetzungen nichts haben kann, sondern sie unterstellt jedem, der sich nicht vorbehaltlos diese Forderung zu eigen macht, daß er in das Lager der Kriegstreiber gehört. Wenn die Schlußfolgerung aus den unzähligen Opfern des Krieges „Europa“ heißt, ist jede Abweichung moralisch verwerflich. Das Ammenmärchen von der Europäischen Union als Friedensgarant der Gegenwart soll dadurch die fehlenden Weihen bekommen.

Dabei war der Volkstrauertag nach dem Ersten Weltkrieg eingeführt worden, um der Kriegstoten zu gedenken. Die Hoffnungen der Weimarer Republik gingen dahin, daß das Gedenken versöhnend und unabhängig vom politischen Tageskampf stattfinden sollte. Im Mittelpunkt standen die Toten, deren Gedächtnis nach den Verwerfungen der unmittelbaren Nachkriegszeit eine neue Einheit stiften sollte.

Der Mißbrauch der Toten zu politischen Zwecken hat allerdings fast eine ebenso lange Tradition, die in diesem Jahr fortgesetzt wurde. Die Worte des Bundespräsidenten erinnerten mit der Entgrenzung des Opferbegriffs eher an eine sozialpädagogische Weihnachtsansprache als an ein würdiges Totengedenken. Wer den Volkstrauertag dazu nutzt, um denjenigen zu gedenken, „die bei uns durch Hass und Gewalt gegen Fremde und Schwache Opfer geworden“ sind, hat den Sinn des Tages nicht verstanden.

Solchen Menschen hat die Dichterin Gertrud von le Fort schon vor mehr als einem halben Jahrhundert folgendes in Stammbuch geschrieben:

Vergessenes Vaterland – Vaterland der Vergess´nen,
Ehrfürchtig-liebliches Land, dem einst die himmlische Stimme
Hölderlins Lorbeern gestreut:
„O heilig Herz der Völker -“
Des hohen Gesanges und der göttlichen Ahnung
Ernste und holde Heimat, „du Land der Liebe“:
O laß mich knien an deinem erschütternden Grabe!

Versunken liegt es – kaum daß der nackte Hügel
Demütig noch sich hebt aus den starrenden Schollen
Eisenbesäter Flur – und verwahrlost liegt es:
Der schweifenden Winde Atem nur flüstert darüber hin
Wie in verwelkten Gesängen
Oder wie in den Wäldern verschollener Landschaft.

Denn blicklos hastet an ihm vorbei
Der neue, der irdische Mensch, der selbstgewisse, gewalt´ge,
Selten nur bleibt er stehn, von heimlichen Schauern
Widerwillig geschüttelt, und ohne Rührung
Wendet er sich zurück in den Lärm seiner Tage. […]